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HANNES HOFSTETTER

 
Paolo Rizzi

Die Gemälde von Hannes Hofstetter:
Eine fesselnde Reise in Zeit und Raum

Die Zeitmaschine ist eingerastet. Die Spirale öffnet sich nicht in den Raum: und es ist, als ob sich die ganze Vergangenheit -die ganze Geschichte-  über uns ergösse. Wir lesen die Entwicklung der Welt in einer zeitlosen Dimension, quasi zusammengedrückt. Das Primitive schiebt sich über das Technologische; und das geht zurück bis an die Anfänge der menschlichen Zivilisation. Hannes Hofstetter lässt uns das sehen, was wir bis jetzt nicht gesehen hatten. Die Zeit existiert nicht mehr: wir werden zu Vorfahren und gleichzeitig zu Zeitgenossen. Es ist ein seltsamer neuer Eindruck. Es scheint, dass man das Geheimnis einer mathematischen Formel entschlüsselt hat, das einem immer entglitten war.
Die Bilder dieses deutschen Künstlers sind allesamt Mittel der Erkenntnis und nicht nur Mittler des ästhetischen Genusses. Hier liegt der Ausgangspunkt, um in Zukunft zu einer neuen Kunstauffassung zu gelangen. Der Künstler nähert sich in seiner leonardesken Neugierde dem Physikalischen, dem Chemischen, dem Biologischen: er erforscht die Wahrnehmung der Welt. Mit seinem scharfen Auge sucht er mit dem Elektonenmikroskop, um die Ordung bzw. Unordnung der Zellgewebe festzuhalten; er tut das aber, indem er die Sanduhr der Zeit umkippt, d.h. er geht zurück um vorwärts zu gehen. Der uns überkommende Eindruck ist das Eindringen in eine wundersame Maschine. Unversehens löst sich das Rätsel der ägyptischen Hieroglyphen, der Keilschriften, der Graffiti aus vorgeschichtlichen Zeiten: Wie lesen jedes Zeichen in Klarheit. Die Geschichte der Menschheit rollt sich vor unseren Augen ab. Jedes Bild, selbst das verworrenste, jede geheimnisvolle Symbolik, jedes Kryptogramm: alles wird wieder-erkannt und interpretiert.
 Seit zehn Jahren- das scheint uns die faszinierende Ausstellung im Palazzo Albrizzi, Venedig, nahezulegen- ergründet Hofstetter die Zeit. Es ist gleichsam die Arbeit eines aufgeklärten Archäologen. Er zeigt dies bei den Schichtungen im Bild “Bett”(1989). Das Wasser, das unter der Erde floss, fliesst immer noch, wir können es sehen, beinahe mit unseren Fingerspitzen anfassen, zwischen zerbrökelten Steinen und feuchter Erde, zwischen Felsspalten und tektonischen Verwerfungen. Wenn wir den Blick nach oben richten zu den Sternzeichen (“Sternzeichen I, II”), erscheint vor uns der Entwurf  des Grossen Architekten klar in seiner rationalen kosmischen Geometrie; die ”Tumuli”(1994) aus Steinen erheben sich als Dolmen und Menhire, um auf das Zeichen einer ewigen Energie der Natur hinzuweisen; die “Schriften” (1992) verschmelzen die verschiedenen Sprachen, vom antiken Babylon bis zu den Hethitern, von den Runen zum Hebräischen, vom Ägyptischen zum Arabischen. Welche “neue Welt”  erscheint uns, wenn nicht die alte, zyklisch wiederkehrende, von Nachtschatten umhüllt, aber auch dem Strahl der Morgenröte offen? Noch einmal wird der Blick klar: er dringt in die Akten (“Akten”, 1989) der Zeit ein, um das zu lesen, was die Zukunft für die Vergangenheit in Reserve hält. Das Rad dreht; wir lesen in den Metallen (“Metalle”, 1997)  unser Schicksal,  immer anders und immer unveränderlich....
Diese und andere Empfindungen und überlegungen begleiten mich  während des Besuchs der Ausstellung, die zur “Reise in die Mehrdeutigkeit des Seins” wird, wie der Titel selbst sagt. Erst später, betrachtend und nochmal betrachtend, merke ich, das mir still eine Art verzauberter Schönheit folgt.  Die Bilder Hannes Hofstetters offenbaren die “Wahrheit”, gerade indem letztere sich in platonischem Sinne mit der “Schönheit” vereint. Die von antiker Farbigkeit durchdrungene Materialität übt eine überwältigende Faszination aus. Rauh und streng, bröcklig und mit Rissen, mit lichten und schattigen Stellen, stellt das Material die “Metapher der Zeit”, aber auch die “Enthüllung des Sinnes”dar. Das Werk wird zur Leinwand, auf der wir uns selbst widerspiegeln, also unsere Ängste, unsere Beklemmungen, aber auch unsere tiefgehende Sehnsucht nach Universellem, nach kosmischer Erkenntnis. Wir bleiben sprachlos, gleichsam erstarrt durch das Rätsel, das sich langsam erschliesst, wie die Weissagungen der alten Pythia. Die Sprüche der Tafeln sind da: beginnen wir, sie zu lesen.
 

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